Für die Einstellung in den Schuldienst des vom Berufsverbot betroffenen Bochumer Romanisten Bernd Leihmann hatten sich u.a. das Direktorium des Romanischen Seminars und die Fachschaft Romanistik eingesetzt (s. auch Anhang zum Bericht von Bernd Leihmann).
Der unter der Regierung von Willy Brandt 1972 erlassene "Radikalenerlass" richtete sich in erster Linie gegen die seit 1968 erstarkenden Linksströmungen in der BRD und hier insbesondere gegen die 1968 zugelassene DKP. Konkret bedeutete er, dass Bewerber für den öffentlichen Dienst abgelehnt wurden, wenn die einstellende Behörde "begründeten Zweifel an der Verfassungstreue" des Bewerbers hatte. Da damals noch mehr Berufsbereiche als heute zum öffentlichen Dienst gehörten z.B. Post und Bahn, bedeutete das, dass bei "begründetem Zweifel" die für Betroffene die Berufsfelder Briefträger, Lokführer, Lehrer, Finanzbeamter und vieles andere verschlossen waren, für diese Bereiche mithin ein Berufsverbot galt. Von diesem Verbot waren insgesamt 1100 Bewerber betroffen. Der Widerstand gegen diesen Erlass entwickelte sich rasch und fand zunehmend große Resonanz im westlichen Europa (v.a. in Frankreich), wo kommunistische oder andere linke Parteien als selbstverständlicher Teil des demokratischen Meinungsspektrums galten. Das führte dazu, dass einige exemplarische Fälle von Berufsverbot nicht nur bei uns, sondern auch im Ausland breit diskutiert und kritisiert wurden.
Mein Fall gehört nicht zu diesen im In- und Ausland bekannten Fällen, wenn er auch z.B.im Schulfunk des schwedischen Rundfunks beschrieben wurde. Aber gerade weil es sich bei mir um einen der vielen "normalen" Fälle handelte, wird an ihm der Charakter der Berufsverbotspraxis vielleicht umso deutlicher. Ich wurde durch die 68er Bewegung politisiert, war ab 1971 Mitglied des MSB Spartakus und trat 1973 in die DKP ein. Schon seit meiner Schulzeit war mein Berufsziel Lehrer und so trat ich 1975 am Ausbildungsseminar Bochum mein Referendariat für Deutsch und Französisch an. Hier wurde ich von meinen Kollegen zum Referendarsprecher gewählt. Meine erste Aufgabe bestand darin, unter meinen Kollegen Solidarität mit meiner Vorgängerin, einer Anhängerin einer maoistischen Strömung, zu organisieren, der mit Bezug auf den Radikalenerlass die Einstellung in den Schuldienst verweigert worden war. Dasselbe traf dann auch meinen Nachfolger im Amt des Referendarsprechers, den später als Krimi-Autor bekannt gewordenen Reinhard Junge. D.h. dass die Referendarsprecher von drei aufeinanderfolgenden Jahrgängen in Bochum vom Berufsverbot betroffen waren. Und nur sie!
Es gab natürlich zu dieser Zeit zahlreiche Anhänger und Mitglieder linker Gruppen, auch der DKP, unter den Referendaren. Sie blieben aber unbehelligt. Folglich zielte die Berufsverbotspraxis durch Auswahl einiger weniger auf Einschüchterung vieler. 1/2 Jahr vor Ende meines Referendariats erhielt ich die Vorladung zu einer Anhörung beim zuständigen RP Münster, da "begründete Zweifel" an meiner Verfassungstreue vorlägen. Das Wort "begründete" war in diesen Mitteilungen wichtig. Es gab nämlich ein Gerichtsurteil, demzufolge die "bloße Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei" nicht zur Ablehnung ausreichte. Der Zweifel an der Verfassungstreue des Bewerbers musste durch sein "konkretes aktives Handeln" begründet sein. In meinem Fall bestand das mir vorgeworfene "konkrete aktive Handeln" in der (und das ist jetzt kein Witz) Teilnahme an DKP-Feiern zum 1. Mai in zwei aufeinander folgenden Jahren. D.h. mir wurde konkret vorgeworfen 2mal am "Tanz in den Mai" der DKP teilgenommen zu haben. Ich hätte da einiges mehr zu bieten gehabt, aber da stand nichts weiter. Als diese Vorladung an meiner Ausbildungsschule, dem Märkische Gymnasium in Wattenscheid, bekannt wurde, organisierten Schüler sofort ein Solidaritätskomitee gegen mein drohendes Berufsverbot und die Schülerunion (allerdings mit geringer Resonanz) ein Komitee dafür. Sehr wichtig für den späteren Verlauf meines Verfahrens war die Reaktion eines meiner Ausbildungslehrer im Fach Deutsch. Es war ein älterer Kollege, sehr beliebt bei den Schülern, bekennender Christ und CDU-Mitglied der ersten Stunde. Wir beide führten oft heftige kontroverse Diskussionen - mitunter auch zum Gaudium der Schüler vor der Klasse. Dies störte jedoch nicht unsere gegenseitige Wertschätzung, steigerte sie eher noch und differenzierte das Bild, das wir beide von den Positionen des anderen hatten erheblich. Als er von dem mir drohenden Berufsverbot erfuhr, war er entsetzt. Er habe immer gedacht, der Radikalenerlass richte sich gegen Befürworter von Terrorismus oder ähnlichem, erklärte er mir. Davon sei bei mir aber nichts zu bemerken. Mit mir könne man ja diskutieren und ich würde immer andere Meinungen - auch von Schülern — gelten lassen. In diesem Sinn schrieb er dann einen Brief an den RP, der später noch eine Rolle spielte.
Nach Münster fuhr ich dann zu 3 "Anhörungen". Mein Gegenüber war ein schon älterer Oberregierungsrat, dem sein Job als Gesinnungsüberprüfer offensichtlich eher ein wenig peinlich war. Er gab mir viel Zeit, meine Position zur Verfassung und zu einem demokratischen Gemeinwesen darzulegen. Ein paar Wochen nach der letzten Anhörung erhielt ich dann den Bescheid des RP, in dem stand, dass von Seiten meines "Anhörers" an meiner Verfassungstreue kein Zweifel mehr bestehe.Ich war natürlich sehr erleichtert, hatte aber das ungute Gefühl, dass es dabei nicht bleiben würde. Und so war es dann auch: Kurze Zeit später erhielt ich wieder eine Vorladung nach Münster. Diesmal kamen zu den Maifeiern noch die Teilnahme an Mitgliederversammlungen der DKP als "konkrete Handlungen" hinzu. In Münster saß ich jetzt nicht meinem alten "Anhörer", sondern einem jungen Regierungsrat z.A. gegenüber, der die Sache kurz und schmerzlos machte. Nach ca. 15 Minuten, die wir mit oberflächlichem Geplänkel verbrachten, war ich wieder draußen und nach 2 Wochen erhielt ich die zu erwartende Mitteilung, dass ich wegen "erheblicher Zweifel" an meiner Verfassungstreue nicht in den Schuldienst übernommen werde.
In der Folge hatte ich ziemlich viel Glück - mehr als die meisten anderen Betroffenen. Nach nur 7 Monaten Arbeitslosigkeit bekam ich einen Job als Deutschlehrer für Aussiedler und Flüchtlinge beim "Berufsfortbildungswerk des DGB". Finanziell war ich somit abgesichert. Meine Schüler waren Erwachsene, die große Mehrheit aus Polen oder der UDSSR. Ihre Meinung zum Sozialismus war natürlich meiner zumeist eher entgegengesetzt. Aber obwohl meine Position allgemein bekannt war, wählten sie mich jahrelang zum Vertrauenslehrer.
Da ich weiterhin bestrebt war, in den öffentlichen Dienst einzutreten und Deutsch und Französisch zu unterrichten, bewarb ich mich nun nicht als Beamter, sondern als Angestellter. Grund dafür war, dass ein Rechtsstreit mit Beamten(-bewerbern) vor dem Verwaltungsgericht landet, ein Rechtsstreit mit einem Angestellten(-bewerber) aber vor dem Arbeitsgericht. In den bis dahin zurückliegenden Fällen von Berufsverbot hatten die Verwaltungsgerichte nahezu immer gegen die Betroffenen geurteilt, die Arbeitsgerichte aber zumeist für sie. Nachdem nun wie zu erwarten meine Bewerbung als Angestellter im öD abgelehnt worden war, klagte ich vor dem Arbeitsgericht Bochum. Das Urteil lautete, dass meine Nichteinstellung unrechtmäßig sei und ich eingestellt werden müsse. Gegen dieses Urteil ging das Land NRW in Berufung vor dem Landes-Arbeitsgericht. Aber auch dieses Gericht urteilte zu meinen Gunsten, da - so sinngemäß die Begründung — die Ablehnung nur pauschal begründet sei und und nicht konkret auf meine Persönlichkeit und mein Verhalten eingehe. In diesem Zusammenhang verwies das Urteil insbesondere auf den Brief, den mein Ausbildungslehrer (der alte CDU-ler) an den RP geschrieben hatte. Das war 1982. Bis dahin war es üblich, dass die Behörde nach so einem Urteil bis zum Bundes-Arbeitsgericht in Berufung ging. Aber mittlerweile hatten zumindest die SPD-regierten Bundesländer eingesehen, dass die Praxis der Berufsverbote im Inland sehr umstritten war und das Ansehen der BRD im Ausland schädigte. Man stellte in dieser Zeit diese Praxis in NRW und anderen Bundesländern also ein. Und ich wurde eingestellt.
Bernd Leihmann
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