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Studien- und Lebenserfahrungen am Romanischen Seminar

 

Die 70er Jahre – rückblickend auch auf das Studium am Romanischen Seminar der RUB wohl mit die prägendste "Epoche" für ein (Berufs-) Leben, das sich nolens volens langsam dem Ende zuneigt.

Das soll nicht senil klingen – aber irgendwie ist die Studienzeit gerade an diesem Romanischen Seminar heute noch fast täglich in Erinnerung – und das ist gut so.

Frisch immatrikuliert zum WS 75/76 in den Fächern Französisch und Englisch mit dem Abschluss "Lehramt an Gymnasien" habe ich mich gleich für einen Sprechstundentermin bei Prof. Maurer eintragen lassen, der mich nach kurzer Vorstellung mit den Worten begrüßte und motivierte: "Da haben Sie sich ja viel vorgenommen!" Aber inhaltlich hat er mich derart gut beraten, dass ich das durchaus positiv gewertet habe.

Die erste Entscheidung lag darin, bereits im Grundstudium die Richtung "Literatur- oder Sprachwissenschaft" als Vertiefungsrichtung zu wählen. Offen gesagt hat mich die negative Schulerfahrung im Bereich dessen, was man dort als "literarischen Bereich" bezeichnete, derart beeinflusst, dass die Linguistik unausweichlich als Schwerpunkt feststand. Das auch vor dem Hintergrund, dass ich von einem Gymnasium kam, bei dem Latein als erste Fremdsprache und bis hin zum Abitur verpflichtend auf dem Stundenplan stand.

Die ersten linguistischen Schritte waren in einer Einführung von Herrn Professor Kleineidam und Herrn Dr. Gouazé, die mir das ganze Spektrum der Sprachwissenschaft in der Romanistik eröffnet haben. Dann das erste Proseminar in der Linguistik – scheinpflichtig! Der Dozent, Dr. Best, gerade in "statu habilitandi", beauftragte mich mit der Erstellung einer Bibliographie – wohl auch im Blick auf seine Habilitationsschrift -, die hauptsächlich Aufsätze aus Zeitschriften und entsprechende Rezensionen enthalten sollte. Ich habe bis heute nicht die Wegstrecke in der Bochumer UB und der Seminarbibliothek gezählt, die mich zu den Karteikästen und anschließend zu den Regalen mit dem einschlägigen Buch geführt haben – aber danach war ich bereits im ersten Semester Kenner der UB – zumindest für mein Fach – und der Bibliothek des Rom. Sem.

Linguistik hieß aber auch, die Bereiche Phonetik/Phonologie und Diachronie zu belegen. Dass diese in Personalunion von Prof. Krenn gelehrt und abgedeckt wurden, war mir im ersten Moment nicht klar – hat aber entscheidend und maßgeblich dazu beigetragen, einen völlig anderen Blickwinkel auf das Studium zu erhalten als geplant. Nach kurzer Zeit und dem Besuch der Veranstaltung "Phonologie/Phonetik" wurde mir klar, dass die Lehr- wie Lerninhalte sehr verständlich und praxisbezogen waren. Schon erstaunlich, mit welchem Blickfeld Professor Krenn – auch oft spontan und neben der Theorie – an Beispielen genau das erklärte, was die romanischen Sprachen in ihrer Anwendung für einen angehenden Französischlehrer interessant machten. So liefen Seminare und Vorlesung manchmal in eine völlig andere – aber wichtige – Richtung als auch von ihm geplant. Kaum einer wird wohl vergessen, welche 5 Fehler einem ungeübten Italianisten bei nicht korrekter Aussprache des Wortes "tutto" passieren können.

Bei einem ersten Gespräch über ein Thema für eine Hausarbeit habe ich Professor Krenn nach der Möglichkeit einer SHK-Stelle gefragt; völlig unverhofft erfuhr ich, dass er gerade nach einer "Wiederbesetzung" suche. Es mag vermessen klingen, zu behaupten, dass dieser Moment ein absoluter Wendepunkt war, der – positiv – meinen geplanten Berufsweg in eine andere Richtung gelenkt hat.

Nachdem ich – zunächst skeptisch betrachtet durch den geschäftsführenden Assistenten und die Sekretärin des Romanischen Seminars – meinen Vertrag unterschreiben konnte, konnte ich für Professor Krenn und Dr. Merz zunächst die Literaturlisten und Seminarapparate für ihre Veranstaltungen zusammenstellen. Mehr und mehr aber habe ich dadurch verstanden, wie Veranstaltungen thematisch aufgebaut werden, wie welche Themen für Referate entstehen, wie Veranstaltungen aufeinander aufbauen, wie neue Literatur eingearbeitet wird, wie sich Themen für Staatsarbeiten ergeben u.v.m. Beeindruckend waren aber und sind bis heute die Impulse, die mir Professor Krenn vermittelt hat, das spannende Feld der Linguistik intensiver und tiefergreifend zu betrachten und sich in völlig neue Gebiete einzuarbeiten.

In vielen Gesprächen mit Professor Krenn bin ich letztendlich seiner Empfehlung gefolgt, das Zweitfach Anglistik abzuwählen, dafür Geschichte und – eher als Ergänzung – Klassische Philologie zu belegen. Ohne Zweifel habe ich durch Professor Krenn – fast nebenbei – gelernt, wie sich Lateinkenntnisse einfach und strukturiert vermitteln lassen, wenn man seinem Ansatz folgt. Es ist leider nicht gelungen, gemeinsam eine Lateingrammatik zu schreiben – das bedauere ich noch heute!

Parallel zur Wissenschaft – Professoren hielten schon damals eine doch etwas größere Distanz zu Verwaltungsarbeit – habe ich gelernt und verstanden, wie das "System Hochschule" funktioniert, nicht nur im wissenschaftlichen Bereich auf den Ebenen Romanisches Seminar, Fakultät, Senat, Rektorat. Hinzu kamen tiefe Einblicke in die Arbeit des Seminars, der Prüfungsämter, der Aufgabenbereiche der einzelnen Dezernate der Hochschulverwaltung, der Beschaffung der Seminarbibliothek; in allem hatte ich uneingeschränkte "Handlungsfreiheit" durch Professor Krenn.

Neben den beiden Räumen in GB 8 "institutionalisierte" sich nach kurzer Zeit die Pizzeria "da Gervasio" in der Oskar-Hoffmann-Straße als abendliche Außenstelle des Lehrstuhls! Hier wurde bis spät in den Abend und manchmal die Nacht diskutiert, geplant, besprochen und entschieden!

Zusammen mit Jürgen Niemeyer haben wir mit Professor Krenn das Linguistische Kolloquium in Linz vorbereitet und durchgeführt, hatten Möglichkeiten zu ersten Publikationen, ebenso zum persönlichen Kennenlernen vieler bis dahin nur durch die Literatur bekannter Linguisten. Diese durch intensive Zusammenarbeit sich entwickelnde "Konzentration" auf die Arbeit mit Professor Krenn bedeutet aber nicht, den Focus nur auf die Linguistik gerichtet zu haben.

Das Seminar von Professor Stierle "Paris – die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts" mit Exkursion nach Paris ist mir bis heute unvergesslich geblieben. Nach fast 30 Jahren habe ich Professor Stierle bei unserem letzten Treffen noch einmal darauf angesprochen. Ich stimme seiner Aussage zu: "Es war doch eine spannende Zeit und Sie haben etwas gelernt". Besser kann man es nicht ausdrücken – nicht nur wegen dieses Seminars sondern insgesamt gesehen.

Ein erster Generationswechsel, den ich am Romanischen Seminar erlebt habe, war die Besetzung des Lehrstuhls mit Professor Gumbrecht. Die "offizielle Vorstellung" am Seminar vollzog sich mit der kurzen Bemerkung: "Hallo, ich bin der Sepp – und was machst Du hier?" Schon seltsam der Anredewechsel und die äußere Diskussionsebene; aber hochspannend.

"Sepp" verstand es – neben Professor Maurer und Professor Stierle – auch eine Faszination für die Literaturwissenschaften in mir zu wecken, die darin endete, dass ich ihn zusammen mit Professor Krenn als Prüfer im Staatsexamen gewählt habe. Die Abschlussfeier bestand dann darin, zu dritt einen Tag später das Bundesligaspiel VfL Bochum – Borussia Dortmund in Dortmund zu besuchen mit anschließender Feier des Borussensiegs auf dem Borsigplatz in Dortmund.

Was habe ich gelernt und erfahren am Romanischen Seminar in Bochum? Eine hervorragende Lehrstuhlbesetzung, die bis heute ihresgleichen suchen dürfte; eine Wissenserweiterung in vielen Bereichen, von der ich bis heute – obwohl gar nicht beruflich als Romanist tätig – profitiere. Weil ich auch gelernt habe, analytisch an Problemstellungen heranzugehen wie seinerzeit bei Aufgabenstellungen für Referate, Hausarbeiten und Staatsarbeit und jeglicher Arbeit mit und in einer Hochschulverwaltung. Das ist übertragbar. Das habe ich vor allem Herrn Professor Krenn, aber auch Herrn Professor Stierle, "Sepp" Gumbrecht und Herrn Professor Tietz zu verdanken, den ich kurz vor meinem beruflichen Wechsel von Bochum kennengelernt habe.

Nach gut 30 Jahren der "absentia" von der RUB besteht der Kontakt zum Romanischen Seminar weiterhin so, als hätte ich mich gestern verabschiedet. Die eingangs erwähnte Skepsis des bis heute amtierenden geschäftsführenden Assistenten und der jetzt pensionierten Sekretärin mir gegenüber insbesondere wegen des hohen Papierverbrauchs ist dann doch relativ schnell in eine Freundschaft gewechselt, die bis heute besteht, nie geendet hat.

Ulrich Eberhardt


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